Zoo Leipzig
Zwischen 1876 und 1931 fanden auf dem Gelände des Leipziger Zoos in der Pfaffendorfer Straße 29 etwa 40 ‘Völkerschauen’ statt, die insgesamt mehr als 750 Menschen den Zoobesucher*innen zur Schau stellten. Diese ‘Menschenzoos’ waren in vielen Städten Europas üblich und hatten eine Tradition in Zirkussen, Kuriositäten-Kabinetten und auf Jahrmärkten. Als Begründer der ‚Völkerschauen‘ gilt Carl Hagenbeck, Gründer des Hamburger Tierparks. In Leipzig initiierte Ernst Pinkert, Gründer und erster Direktor des Leipziger Zoos, die Ausstellung von Menschen. Eine kritische Aufarbeitung der ‘Völkerschauen’ ist bisher, trotz der langjährigen Forderung verschiedener zivilgesellschaftlicher Akteur*innen, nicht erfolgt. Darüber hinaus ist auch die Ausstellungs- und Programmgestaltung des Zoos deutlich von weißen Denkmustern geprägt und reproduziert auf vielfache Weise koloniale und rassistische Stereotype.
‘Völkerschauen’ im Leipziger Zoo
1878 eröffnete Ernst Wilhelm Pinkert (1844-1909) den Zoo im Leipziger Norden. Die Geschichte der ‘Völkerschauen’ begann jedoch schon drei Jahre zuvor. Der Gastwirt Pinkert organisierte zu diesem Zeitpunkt bereits ‚Völkerschauen‘ auf dem Gelände seines Gasthofes “Pfaffendorfer Hof” noch bevor überhaupt die ersten Tiere auf dem Gelände zu sehen waren.1 Durch die exotisierende Inszenierung der ausgestellten Menschen wollte der Gastronom sein Programm erweitern und mehr Gäste anziehen. Über ein geschäft mit dem Hamburger Zoodirektor Carl Hagenbeck, dem wohl bekannteste Organisator von ‚Völkerschauen‘ in Deutschland, kamen die ersten Völkerschauen schließlich nach Leipzig.2 Ernst Wilhelm Pinkert wurde allerdings bald selbst aktiv und warb 1888 in Ägypten eine Gruppe an, die er unter dem Titel ‚Beduinenkarawane‘ auf Tournee gehen ließ.3 Die Zurschaustellung von nicht-weißen Menschen, heute als Black, Indigenous and People of Color (BIPoC) selbstbezeichnet, wurde mit ihrem angeblichen pädagogischen und wissenschaftlichen Nutzen begründet.4
Bereits vor ihrer Etablierung in Zoologischen Gärten war die Zurschaustellung von BIPoC in Europa bekannt. Zuvor fanden sie im Zirkus und auf Jahrmärkten statt. Carl Hagenbeck entwickelte dieses Konzept weiter, indem er die ‚Schauen‘ aufwendiger gestaltete und auf das Gelände von Zoos und Tierparks holte. Dort zeigte er fortan Menschen zusammen mit exotischen Tieren und Pflanzen in vermeintlich ‚authentischer‘ Umgebung und stellte sie als Objekte in eine Kulisse.5 Die Darsteller*innen sollten zusätzlich einiges an Hausstand mitbringen und sich darin möglichst ‚natürlich‘ verhalten. Die Zuschauer*innen sollten sie nun bei alltäglichen Tätigkeiten wie Kochen und Waschen beobachten. Zusätzlich zum dargestellten Alltag gab es Programmeinlagen, welche meist Tanz, Musik, Kampfszenen und einen Umzug mit Tieren beinhalteten. Die Arbeitszeiten der ‘Völkerschauteilnehmer*innen’ reichte oftmals ohne Pause von der Öffnung des Zoos am Morgen bis zur Schließung am Abend.6
Die Arbeits- und Lebenssituationen der ausgestellten Menschen waren sehr unterschiedlich. Manche Protagonist*innen professionalisierten sich in diesem Bereich, andere waren weitgereiste Händler*innen mit guten Kenntnissen im interkulturellen Umgang und organisierten ihre Shows bald selbst.7 Wieder andere waren schon in ihren Herkunftsregionen etablierte Schausteller*innen (z.B. Schlangenbeschwörer*innen, Artist*innen oder Tänzer*innen) und heuerten bei Zirkussen an. Jedoch wurden auch Menschen angeworben, die in großer Abhängigkeit zu den Organisator*innen der ‚Völkerschauen‘ standen. Dies resultierte aus dem Umstand, dass möglichst wenig Kontakt mit Europäer*innen ein entscheidendes Kriterium für die Teilnahme an einer ‚Völkerschau‘ darstellte. Überliefert ist, dass die Teilnehmenden neben dieser Abhängigkeit auch unter Heimweh, dem Besucher*innenandrang und der ständigen Beobachtung, der sie ausgesetzt waren, litten.8
Die ausgestellten Menschen
Zwischen 1876 und 1931 wurden mehr als 750 Menschen im Leipziger Zoo ausgestellt. Diese kamen vor allem aus afrikanischen Ländern, aber auch aus Nordeuropa, Nordamerika, Australien und Asien.10 Die Unterbringung erfolgte meist direkt auf dem Zoogelände am Ort ihrer Darstellung, wodurch auch eine Gleichsetzung mit den ebenfalls ausgestellten Tieren nahelag. Die Zurschaustellung fanden zunächst auf einer Wiese zwischen dem Raubtierhaus und dem Robbenbecken statt, wo die Darsteller*innen in selbst mitgebrachten Zelten oder Häusern wohnten. Einige Jahre später wurde eine mit ‘Urwaldkulisse’ versehene Veranstaltungsbühne mit Unterkunftsräumen gebaut.11 Einige der Darsteller*innen erkrankten während ihres Aufenthalts in Leipzig. Über die Biographien der Ausgestellten insbesondere nach dem Ende ihrer Darstellungstätigkeit ist nur wenig bekannt. Eine der wenigen bekannten Episoden ist die des Äthiopiers Hassan Essahas, der an einer Lungenentzündung starb. Zu seiner Beerdigung am 09.05.1906 auf dem Südfriedhof, die seine Mitreisenden organisiert hatten, kamen die Leipziger*innen in Scharen, um sich eine weitere “Show” anzusehen, was eine würdevolle Trauerfeier unmöglich machte.12
Durch die ‘Völkerschauen‘ wurden in der Leipziger Bevölkerung rassistische Denkmuster geschaffen und reproduziert. Diese hatten durch die hohen Besucher*innenzahlen und die dazugehörenden Werbemittel wie Postkarten und Plakate eine große Breitenwirksamkeit.13 Die ‘Völkerschauen‘ trugen wesentlich zur Verbreitung und Schärfung eines eurozentrischen und rassistischen Blicks auf BIPoC und zur ‚Fremdmachung‘ von Kulturen bei. Innerhalb eines rassistischen Weltbildes wurden BIPoC von den in der Aufklärung formulierten Menschenrechten ausgenommen und deren Zurschaustellung ebenso wie die Unterdrückung, Versklavung, Ermordung, und Vergewaltigung kolonisierter Menschen gerechtfertigt.14 Die Exotisierung oder Fremdmachung dieser Menschen erfolgte einerseits durch das Suggerieren von ‚Ursprünglichkeit‘ und ‚Authentizität‘ aufgrund einer angeblichen Nähe und Verbundenheit zur Natur. Auch deshalb wurden die ‘Völkerschauen’ im Zoo veranstaltet und Tiere in die Schauen eingebunden. Andererseitssowie wurde die Attraktivität und Andersheit der Darsteller*innen hervorgehoben: Im Gegensatz zur europäisch-männlich-weißen Position, welche als rational, zivilisiert und beherrscht imaginiert wurde, wurde Schwarzen Menschen ein sexuell freizügiges, erotisches, weibliches, kindlich-naives sowie gefühlsbetontes Verhalten zugedacht.15
Koloniale Kontinuitäten im Zoo
Bis heute findet im Zoo eine exotisierende und somit als fremd und aufregend erscheinende Inszenierung von BIPoCs und ‘fremden‘ Kulturen sttm das veranschaulichen etwa ,die “Exotischen Events am Abend”. Auf seiner Internetseite, sowie auf Flyern und Plakaten bewirbt der Zoo seine verschiedenen Abendveranstaltungen wie beispielsweise den „Hakuna Matata-Abend“ mit folgenden Worten:
„Fremde Gewürze, exotische Früchte und landestypische Köstlichkeiten entführen Sie anschließend in die faszinierende Welt der Küchen Afrikas. Eine Live-Band begleitet Sie mit südländischen Rhythmen durch den Abend. Während Sie Ihr Dessert genießen, begeistern Sie unsere Tänzerinnen und Tänzer mit einer afrikanischen Tanzeinlage in traditioneller Kleidung.“
https://www.zoo-leipzig.de/feiern-tagen/abendveranstaltungen/hakuna-matata/
Mit Beschreibungen wie diesen werden die Kulturen eines Kontinents mit etwa einer Milliarde Bewohner*innen auf ein typisches Essen reduziert. Pauschalisierende Ausdrücke wie ‘landestypische Küche Afrikas’ oder ‘südländische Rhythmen’ reproduzieren ein stereotypes Bild Afrikas und zeigen den Zuschauer*innen das, was sie über Afrika schon zu wissen glauben. Die angekündigten ‘traditionellen‘ Kleider zeigen vor allem bei den Tänzerinnen viel Haut und reproduzieren somit das exotisierende und erotisierende Bild von Schwarzen Frauen. In einigen Punkten können diese Abendveranstaltungen in einer gewissen Kontinuität mit den Menschenausstellungen vor rund hundert Jahren gesehen werden. Denn unter dem vermeintlich verharmlosenden Entertainement der “Kulturvermittlung” werden weiter rassistische Stereotype reproduziert und eurozentrische, weiße Wissensbestände bestätigt.
Umgang des Zoos mit der eigenen Geschichte
In einer Anfrage an den Leipziger Stadtrat hat Stadträtin Ute Elisabeth Gabelmann 2018 die Frage nach der historischen Aufarbeitung der Menschenausstellung im Zoo gestellt. Die Ratsversammlung der Stadt Leipzig antwortete am 23.01.2019 schriftlich mit dem Hinweis, dass der Zoo in seiner Chronik Auf der Spur des Löwen „in einem Kapitel die Geschichte der Völkerschauen erläutert“.16 Besagtes 270 Seiten umfassendes Buch widmet den ‘Völkerschauen’ zwei Seiten Erklärungstext und vier Seiten mit zeitgenössischen Fotografien und Auszügen einiger Leipziger Zeitungen. Sämtliche Bilder geben die exotisierenden Inhalte unkommentiert wieder. Auch der Erklärungstext beschreibt diesen Abschnitt der Zoogeschichte nahezu unkritisch und geht weder auf die Folgen für die ausgestellten Menschen ein noch auf die rassistischen Menschenbilder, die dadurch gezeigt und geprägt wurden. Dies stellt keine Aufarbeitung einer als gewaltvoll anerkannten Geschichte, sondern eine chronistische Auflistung der ‘Völkerschauen‘ zur Vervollständigung der Zoogeschichte dar. Abgesehen von dieser Erwähnung wird die Vergangenheit der Menschenausstellungen auf dem Zoogelände selbst nur unzureichend thematisiert.
Interventionen und Forderungen
Bereits seit 2015 tritt die AG Leipzig Postkolonial an den Zoo heran, um den Umgang mit den historischen ‘Völkerschauen’ und den aktuellen ‘exotischen‘ Veranstaltungen zu problematisieren. Auch andere zivilgesellschaftliche Gruppen und Einzelpersonen nehmen sich diesen Themen immer wieder an. Im Sommer 2020 stellte eine Bürgerin die Benennung einer Grundschule und einer Straße nach dem Zoogründer Ernst Pinkert von 2009/2010 zur Diskussionen.17 Hierzu veröffentlichten der Dachverband sächsischer Migrantenorganisationen e.V. und die Deutsch Spanische Freundschaft e.V. Stellungnahmen. Eine Reaktion des Zoos auf die mediale Auseinandersetzung war unter anderem die Veränderung des Beitrags zur Geschichte des Zoos auf der Internetseite und ein im April 2021 veröffentlichtes Gutachten. Zuvor fanden an dieser Stelle die ‘Völkerschauen’ keine Erwähnung. In dem Beitrag wird deutlich, dass die Zooleitung keinen Handlungsgrund sieht. Dies zeigt sich zum Beispiel in folgender Äußerung: „Die hervor gebrachten Behauptungen, es gebe ein Versäumnis bei der Aufarbeitung der Zoo-Geschichte, weist der Zoo Leipzig von sich.“18 Der öffentliche Beitrag der AG Leipzig Postkolonial zu der Debatte ist hier nachzuvollziehen.
- Haikal, Mustafa/ Junhold, Jörg (2003): Auf der Spur des Löwen. 125 Jahre Zoo Leipzig, Leipzig: PRO LEIPZIG, S. 52/53.
- Ebd., S. 52.
- Ebd.
- Zickgraf, Peer (2002): Tödliche Verwandlung. Koloniale Menschenzoos und die Schaffung von “Untermenschen”, in: iz3w 258, S. 35–37.
- Haikal/Junhold: Auf der Spur des Löwen, S. 52/53.
- Thode-Arora, Hilke (2013): Hagenbeck: Tierpark und Völkerschau, in: Jürgen Zimmerer (Hg.): Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte. Frankfurt am Main: Campus Verlag, S. 246–249.
- Ebd. S. 252.
- Ebd.
- Gebbing, Johannes (Hg.) (1928): 50 Jahre Leipziger Zoo. eine Festschrift mit 81 Abbildungen und 5 Karten. Leipzig: Selbstverlag, S. 14
- Ratsversammlung Stadt Leipzig, Dezernat Kultur (2019): Schriftliche Antwort zur Anfrage nach den Völkerschauen im Zoo Leipzig.
- Haikal/Junhold: Auf der Spur des Löwen, S. 53.
- Ebd. S. 53.
- Thode-Arora, Hagenbeck: Tierpark und Völkerschau, S. 251.
- Broeck, Sabine (2015): Aufklärung, in: Arndt, Susan/ Ofuatey-Alazard, Nadja (Hg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache: ein kritisches Nachschlagewerk (2. Aufl.). Münster: UNRAST Verlag, S.234
- Glokal e.V. (Hg.) (2016): Mit kolonialen Grüßen… Berichte und Erzählungen von Auslandsaufenthalten rassismuskritisch betrachtet (3. Aufl.), Berlin, S. 32-34.
- Ratsversammlung Stadt Leipzig, Dezernat Kultur (2019): Schriftliche Antwort zur Anfrage nach den Völkerschauen im Zoo Leipzig.
- Stadtratssitzung vom 08.07.2020.
- Zoo Leipzig (2020): Öffentliche Diskussionen um Zoogründer Pinkert – Ein Teil unserer Geschichte.