Clara-Zetkin-Park
Auf der grünen Wiese des Clara-Zetkin-Parks nahe der Karl-Tauchnitz-Straße erinnert heute nichts mehr an die Deutsch-Ostafrikanische Ausstellung, die hier im Jahre 1897 als Teil der Sächsisch-Thüringischen-Industrie- und Gewerbeausstellung (STIGA) stattfand. Mit dem Ziel für die koloniale Idee und Wirtschaft zu werben, stellten mitteldeutsche Unternehmen dort neueste Tropentechnik vor und priesen Kolonialwaren an. Durch den Nachbau von Missionstationen und anderen Gebäuden aus der Kolonie ‘Deutsch-Ostafrika’ (heute Festland-Tansania) versuchten die Organisator*innen dem Publikum eine Kolonialidylle zu präsentieren, die weit von der Realität entfernt war. Die integrierten ‘Völkerschauen’ waren ein Publikumsmagnet und zeigten die Ausgestellten im Sinne der rassistischen Ideologie des Kolonialismus als unterentwickelte, unzivilisierte und edle Wilde.
Hintergründe
Auf dem sumpfigen Gelände des heutigen Clara-Zetkin-Park entstand durch Trockenlegung und Bebauung zwischen 1894 und 1897 das Veranstaltungsgelände für die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbe-Ausstellung.1 Diese Ausstellung unter Schirmherrschaft des sächsischen Königs sollte vorrangig dem mitteldeutschen Gewerbe eine Plattform bieten sich als leistungsstarke und moderne Branche zu profilieren. Mit einer großen Kunstausstellung, u. a. mit Werken von Max Klinger, einer Gartenbauausstellung sowie speziellen Attraktionen wie der Beleuchteten Stadt, dem Nachbau eines Thüringischen Dorfes und Alten Leipziger Messeviertels zielte man aber auch auf Kultur- und Bildungsvermittelung. Zwischen dem 24. April und 19. Oktober 1897 zog diese zeitgenössische Leistungsschau etwa 2,3 Millionen Besucher*innen an.
Die Deutsch-Ostafrikanische Ausstellung
Teil der Ausstellung war auch die sogenannte Deutsch-Ostafrikanische Ausstellung, die mit Nachbauten verschiedener kolonialer Gebäude und einer sogenannten ‘Völkerschau’ den Besucher*innen die koloniale Idee nähebringen sollte. Die privat organisierte Ausstellung nahm innerhalb der Gesamtausstellung etwa 20.000 Quadratmetern ein und fand nahe dem südlichen Teil der heutigen Karl-Tauchnitz-Straße statt. Ein primäres Ziel der Ausstellung war es den „zivilisatorischen Unterschied“ zwischen Europa und Afrika zu betonen und „neben die hoch entwickelte moderne europäische Kultur die eigenartig gestaltete afrikanische, welche die ersten Stufen unseres Kulturerbes etwa erst zu erreicht bestrebt ist, zum Vergleich zu setzen.“2 Organisator und Initiator der Ausstellung war Leutnant a.D. Kurt Blümcke, ein Offizier der unter Herrmann von Wissmann an den ersten Schritten der Kolonisierung des heutigen Tansanias (‘Deutsch-Ostafrika‘) beteiligt gewesen war. Wie die Zeitung der Deutschen Kolonialgesellschaft berichtete, hatte er es nach dem großen Erfolg der Berliner Kolonialausstellung 1896 vermocht eine Zahl Leipziger Finanzleute für die Durchführung einer Ausstellung vor Ort zu gewinnen.3 Man erhoffte sich eine gute Werbung für die koloniale Idee in Wirtschaft und Gesellschaft.
Für 30 Pfennig konnten die Besucher*innen mehrere originalgetreu nachgebaute Gebäude besichtigen: Zwei Kolonialstationen (Usungula und Mquapua), eine evangelische Missionsstation, das sogenannte Wissmannlager und einen Teil der Barra Rasta, einer bekannten Handelsstraße in Dar es Salaam.4 In den Gebäuden war eine Vielzahl von „ethnographischen“ Gegenständen, „landestypischen“ Produkten und Bildern zu besichtigen. Unter anderem auch „einige sehr interessante Stücke aus der Sammlung des Herrn Gouverneur v. Wissmann, von ihm […] in den Gefechten gegen die Wawamba erbeutet.“5
Integrierte ‘Völkerschauen’
Besondere Popularität erhielt die Ausstellung durch eine integrierte ‘Völkerschau’. Ähnliche Veranstaltungen kannten die Leipziger*innen bereits aus dem Zoo. Mit Erlaubnis des Reichskolonialamts, der Kolonial-Abteilung des Auswärtigen Amtes und des Gouverneurs ‘Deutsch-Ostafrikas‘ war der Beamte Karl Kaufmann im Auftrag Blümckes am 27. Dezember 1896 zur Anwerbung von ‘Darsteller*innen’ nach Dar es Salaam gereist. Am 16. April kam er schließlich mit einer Gruppe von 47 Einwohner*innen der Kolonie ‘Deutsch-Ostafrika‘ nach Leipzig zurück. Im Zuge der Auswahl wurde darauf geachtet, dass die Afrikaner*innen möglichst wenig in Kontakt mit Europäer*innen getreten waren. Der Auftrag an Kaufmann lautete: „[…] Vertreter der innerafrikanischen Stämme zu gewinnen, da die Suaheli als etwas Bekanntes – wie viele Suaheli-Karawanen gab es in den letzten Jahrzehnten in Deutschland zu sehen! – niemals die Anziehungskraft ausüben konnten, wie Repräsentanten anderer Stämme.“6 Durch die Verbreitung des Gerüchts, Angehörige der Wadoe seien Kanibal*innen, hofften die Veranstalter*innen, mehr Besucher*innen zur Ausstellung zu locken. So schrieb die Ausstellungszeitung:
„Wadoe, ein Volksstamm, der sich durch Schönheit auszeichnet und besonders dadurch interessant ist, dass von ihm das Gerücht geht, dass bei besonderen Festlichkeiten dort Menschen verspeist wurden, und dass auch drei Matrosen von Sr. Majestät Schiff ›Leipzig‹, die sich im Jahre 1888 zur Zeit des Buschiri-Aufstandes vom Schiffe entfernten, von ihnen verspeist sein sollen. Herrn Kaufmann gaben die Leute auf sein Befragen die Erklärung ab, dass sie früher Menschen gegessen hätten, der drei Matrosen könnten sie sich aber nicht entsinnen.“
Ausstellungszeitung 12.04.18977
Solche Berichte sollten einerseits einen Nervenkitzel erzeugen und andererseits die Ausgestellten möglichst fremdartig erscheinen lassen und entmenschlichen. In den Texten der Ausstellungszeitung wurden die ‘Völkerschau’-Teilnehmer*innen oftmals ähnlich Tieren oder Kindern beschrieben. So „vertrieben sie sich die Zeit mit Essen, Trinken, Tanzen und Schlafen“, „fühlen sich […] behaglich“ „in dem für sie bestimmten Hause“, sind „immer sehr freundlich“ und zeigen nicht die geringste „Zudringlichkeit“.8 Hauptaufgabe der ausgestellten Afrikaner*innen war das Vorführen von Tänzen, Kämpfen und traditionellem Handwerk: „In der Mitte des ziemlich ausgedehnten Platzes finden wir einen kleinen Teich mit mehreren N*-Kanoes und einer Sammlung von Fischereigeräten der Eingeborenen. Auf einem dicht danebenliegenden Spielplatze führen die N* nachmittags regelmässig kriegerische Spiele und Tänze auf.“9
Personen
Die Afrikaner*innen wohnten in einem Gebäude, dass mit „doppelten Drahtzaun gegen eine Berührung mit dem Publikum geschützt“ wurde.10 Die Zeitung der Deutschen Kolonialgesellschaft rechtfertigte diese Maßnahme, da es auf der Berliner Ausstellung 1896 zu „allerlei ärgerlichen Scenen“ gekommen war.11 Trotz der angeblich guten Behandlung und der medizinischen Betreuung starb ein junger Angehöriger der Wasukuma kurz nach Eröffnung der Ausstellung an einer Lungenentzündung und wurde auf dem Leipziger Südfriedhof namenlos begraben.12 In den letzten Ausgaben der Ausstellungszeitung wurden die Berichte über die ‘Völkerschau’ spärlicher. Über das weitere Schicksal der 47 Männer, Frauen und Kinder ist derzeit nichts bekannt.
Solche erniedrigenden oder entmenschlichenden Beschreibungen und Darstellungen waren Teil der rassistischen Ideologie des Kolonialismus, mit der die Herrschaft über die Kolonisierten begründet wurde. Den etwa 635.000 Besucher*innen der Ausstellung wurde durch einen spezifischen sprachlichen und visuellen Duktus die Ideen von europäischer, insbesondere auch deutscher Überlegenheit und afrikanischer Rückständigkeit sowie die Notwendigkeit einer ‘Entwicklung’ Afrikas durch Kolonisation nahe gebracht. Durch die zooartige Ausstellung von Menschen die ‘authentische’ und ‘exotisch-fremdartige’ Handlungen aufführten, wurden spezifische Blick- und Denkgewohnheiten geprägt, die sich in vielfachen Kontinuitäten in der Werbung, in der ‘Entwicklungsarbeit’, im Tourismus und vielen anderen Kontexten bis heute gehalten haben.
Das Ziel dekolonialer Arbeit ist der Bruch mit Fremddarstellungen und rassistischen Stereotypen dieser Art samt dem mit ihnen ausgedrückten westlich-europäischen Überlegenheitsgefühl. Die Ausstellung zurückgeschaut im Berliner Museum Treptow widmet sich 100 Jahre nach der ersten Kolonialausstellung 1896 in Berlin den Betroffenen und hat ihre Lebensgeschichten recherchiert.13 Eine solche Aufarbeitung steht in Leipzig noch aus.
- Hochmuth, Enrico (2001): Das Problem des Industrie- und Gewerbeausstellungswesens und die Musealgeschichte. Das Beispiel der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung in Leipzig im Jahr 1897, in: Curiositas 1, S. 137-165.
- Ausstellungszeitung der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung 1897 (nachfolgend Ausstellungszeitung), 29.4.1897. Erläuterung: Zur Begleitung der Gesamtausstellung erschien anfangs wöchentlich und später täglich eine Ausstellungszeitung mit Hintergrundberichten über die verschiedenen Teilbereiche und Informationen rund um das aktuelle Geschehen.
- Zeitung der Deutschen Kolonialgesellschaft (nachfolgend DKG-Zeitung) 21, 12.06.1897, S. 204.
- Ausstellungszeitung, 27.07.1897.
- Ebd.
- Ausstellungszeitung, 29.05.1897.
- Ausstellungszeitung, 12.04.1897. Zur Problematik des Wortes ‘Stamm’ siehe Arndt, Susanne / Hornscheidt, Antje (Hrsg.) (2018): Afrika und die deutsche Sprach. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster, 3. Aufl., S.213-218.
- Alle Zitate aus der Ausstellungszeitung, 21.04.1897.
- Offizieller Führer durch die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung, Leipzig 1897, S. 101. (Digital verfügbar: https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/68684/1/# – Letzter Aufruf: 24.07.2020)
- DKG-Zeitung 24, 12.06.1897, S. 234.
- Ebd.
- Ausstellungszeitung, 05.05.1897 und Hochmuth, Enrico (2004): Kontrast zur Moderne. Der Beitrag ethnologischer Veranstaltungen zu den nationalen und regionalen Universalausstellungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Europäische Überseegeschichte 4, S. 125-138. Hier S. 134f.
- Zur Ausstellung: https://www.zurueckgeschaut.de/ (Letzter Aufruf: 27.08.2020)