Stationen

Leipzig ist nicht Berlin oder Hamburg – auch nicht Dar es Salaam oder Windhoek. Dennoch finden sich an unterschiedlichen Orten in der Stadt Spuren des deutschen Kolonialismus.

Es gab Ausstellungen, die den ‘kolonialen Gedanken’ in der Bevölkerung fördern sollten. Der Zoogründer richtete eine ‘Völkerwiese’ ein und stellte dort Menschen aus. An der Universität und in Museen wurde über die neusten Erkenntnisse der Forschungsreisenden aus den kolonialen Besitzungen berichtet, die dann in Leipziger Verlagen veröffentlicht wurden. Noch lange nachdem das Deutsche Kaiserreich seine Kolonien durch den Versailler Vertrag abgesprochen bekam, wurde auf der Leipziger Messe ein umfangreiches Angebot an Kolonial- und Tropentechnik vorgestellt.

Auf dieser Webseite werden die kolonialen Spuren in Leipzig anhand von verschiedenen Stationen sichtbar gemacht. Sich diese zu vergegenwärtigen ist unserer Ansicht nach unabdingbar, um den Zusammenhang zwischen kolonialer Geschichte und den aktuellen Debatten um Rassismus, globale Ungleichheit und den Umgang mit ‘Anderen’ herauszustellen. Mehr noch sind wir der Ansicht, dass Rassismus nur nachhaltig bekämpft werden kann, wenn man sich die Verwebung und Verankerung kolonialer Denk- und Verhaltensmuster in heutigen rassistischen Strukturen und Gewaltverhältnissen klar macht.

Deutscher Kolonialismus

Ein präzises Datum des Beginns “deutscher” kolonialer Aktivitäten lässt sich nicht bestimmen. Bereits seit dem 16. Jahrhundert waren Kaufleute, Abenteurer*innen, Söldner*innen und Missionar*innen aus Mitteleuropa an den Geschäften, der Erforschung und Besiedlung außereuropäischer Gebiete beteiligt und folglich auch an den Ausbeutungs-, Unterdrückungs- und Beherrschungsmechanismen, die damit einhergingen.1 Von der zunehmenden Ungleichverteilung von Reichtümern in einer entstehenden Weltwirtschaft profitierten in den nächsten Jahrhunderten zahlreiche deutsche Unternehmen, obwohl keiner der vielen deutschen Einzelstaaten dauerhaft eine Kolonie besaß. Brandenburg-Preußen besaß zeitweilig (1683-1718) die Kolonie Großfriedrichsburg an der ghanaischen Küste. Von dort aus wurden schätzungsweise zwanzigtausend Menschen versklavt und bis in die Amerikas verschleppt, wovon der preußische Staat finanziell profitierte.2

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahmen sich deutsche Handels- und Kaufleute mehr und mehr dem profitablen interkontinentalen Geschäft mit Kolonialwaren und des Handels mit Rohstoffen an. Ab 1884 nahm das Deutsche Kaiserreich von Kaufleuten und Handelskompagnien bezogene oder erworbene Küstenstreifen als sogenannte ‘Schutzgebiete’ in Besitz. Ausgangspunkt waren Initiativen privater Kaufleute, wie Carl Peters oder Adolf Lüderitz, sowie diverser Kolonialgesellschaften, die aus wirtschaftlichen Gründen strategisch wichtige Handelspunkte an afrikanischen Küsten besetzten. Ob das Deutsche Reich Kolonien erwerben sollte, war zunächst umstritten. Reichskanzler Otto von Bismarck hielt es anfangs für ein unnützes und kostspieliges Abenteuer, stellte die Gebiete später allerdings doch unter den ‘Schutz’ des Deutschen Reiches.3 Mit der von Bismarck einberufenen Berliner Kongo-Konferenz von 1884/85 wurden die häufig zwielichtig erworbenen Rechte privater Gesellschaften an außereuropäischen Besitzungen zu kaiserlichen ‘Schutzgebieten’ und somit zu einem staatlichen Projekt.

Gegenstand der Konferenz zu der die deutsche Regierung im November 1884 die wichtigsten europäischen Mächte mit Kolonialbestrebungen nach Berlin geladen hatte, war die Aufteilung des afrikanischen Kontinentes zu beraten.4 Als Ergebnis der Konferenzen erhielt das Deutsche Kaiserreich Ansprüche auf die Kolonien Kamerun, Togo, ‘Deutsch-Südwestafrika’ (heute Namibia) und ‘Deutsch-Ostafrika’ (heute Festland-Tansania, Teile von Ruanda und Burundi). Kurz darauf wurden auch die die Marshall- und Salomonen-Inseln ebenso wie Nauru zu ‘Schutzgebieten’ erklärt. In der Folge wurden große Bemühungen unternommen in den jeweiligen Gebieten kolonialadministrative Strukturen aufzubauen und diese wirtschaftlich auszubeuten. Die ansässigen Einwohner*innen wurden dadurch ihres Eigentums, ihrer Würde und Kultur sowie nicht selten ihres Lebens beraubt.5 Eine historische Eigenentwicklung blieb der lokalen Bevölkerung verwehrt – die gesellschaftlichen Strukturen wurde auf die vornehmlich wirtschaftlichen Interessen der Kolonialherren ausgerichtet und fremdgesteuert.6 Legitimiert wurde dies unter anderem mit einer angeblichen Höherwertigkeit von Weißen gegenüber Schwarzen und Menschen of Color und der daraus abgeleiteten Aufgabe zur ‘Entwicklung’ der Kolonien, der Zivilisationsmission.

Mit dem Machtantritt Kaiser Wilhelms II. 1890 trat das deutsche Kaiserreich voll ins Zeitalter des Hochimperialismus ein und intensivierte seine kolonialen Bestrebungen nochmals auf vielen Ebenen. Kennzeichen dieser Epoche waren die militärische Aufrüstung, ein ausgeprägter Nationalismus und eine aggressive wie expansive Außen- und Kolonialpolitk, die sich in Äußerungen wie dem “Drang nach Weltgeltung” und dem “Platz an der Sonne” ausdrückte. Noch vor 1900 wurden ‘Deutsch-Neuguinea’ (heute ein Teil von Papua-Neuguinea), das chinesisches Qingdao, Samoa sowie die pazifischen Inselgruppen der Karolinen, Marianen und Palau als Kolonien in Besitz genommen. Der größte koloniale Interessensverband mit einem großen bürgerlichen Anteil, die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG), wuchs bis zum Ersten Weltkrieg auf 43.000 Mitgliedern an.

In fast allen Kolonien stießen die Kolonisator*innen auf starken Widerstand der Bewohner*innen. Dies stand im Gegensatz zu der im Kaiserreich oftmals als harmonisch und friedlich dargestellten Situation in den Kolonien. Die deutsche Kolonialarmee schlug jegliche Form des Widerstandes gegen die Inbesitznahme meist blutig nieder. Die zentralen Beispiele für die vielen Widerstandsbewegungen sind die Maji-Maji-Bewegung in Ostafrika (1905 – 1907) und der Völkermord an den Ovaherero und Nama im heutigen Namibia. 1904/1905 führten der Nama-“Kaptain” Hendrik Witbooi und der einflussreiche Paramount Chief der Ovaherero Samuel Maharero den Widerstand gegen die deutschen Kolonialherren an. Im folgenden Krieg, in dem der Kommandeurs der ‘Schutztruppe’ Lothar von Trotha einen genozidalen Vernichtungsbefehl erließ, fanden etwa 75 000 Ovaherero und Nama den Tod.7 Offizielle Entschuldigungen von deutscher Seite für diesen Völkermord fehlen bis heute.8

Die Kolonialzeit des Deutschen Reichs endete mit dem Versailler Vertrag 1919. Die deutschen Kolonien wurden als Folge der Niederlage im Ersten Weltkrieg als Völkerbundmandatsgebiete unter die Verwaltung anderer Kolonialmächte gestellt. In der Weimarer Republik formierte sich um zentrale Personen wie Heinrich Schnee eine aus wirtschaftlichen Interessensverbänden, ehemaligen Angehörigen der ‘Schutztruppen’ und Kolonialnostalgiker*innen bestehende kolonialrevisionistische Lobby, die versuchte den ‘kolonialen Gedanken’ in Politik und Gesellschaft am Leben zu halten. Die populäre Strömung verband sich mit dem erstarkenden Nationalsozialismus und NS-Protagonist*innen betonten wiederholt, dass Deutschland die Kolonien unrechtmäßig genommen worden seien und drängten auf eine Wiedererlangung des Kolonialbesitzes.9 Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die kolonialpolitischen Vereine zum Reichskolonialbund gleichgeschaltet und die kolonialen Ambitionen wurden zunehmen auf das östliche Europa im Sinne der ‘Lebensraumideologie’ verschoben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg präsentierten sich beide deutschen Staaten im zunehmend kolonialkritischen Klima der 1950er-Jahre als ‘kolonial unbelastet’, setzten aber durch ‘Entwicklungshilfe’ und geschickte ökonomische Interessenspolitik die wirtschaftliche Ausbeutung des Globalen Südens fort.10 Diese wirtschaftliche Dimension ist nur ein Beispiel wie die Folgen des Kolonialismus bis heute fortwirken, obwohl die Dekolonisierung Afrikas und anderer Weltregionen mit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als abgeschlossen gilt. Im historischen Kolonialismus festigten sich neben wirtschaftlichen und politischen Strukturen auch Vorstellungen von und über die Welt. Die Kategorisierung in Kolonisierende und Kolonisierte lebt in rassistischen Gegensatzpaaren wie weiß / Schwarz, ‘Naturvolk’ / ’Kulturvolk’ oder auch ‘Entwicklungsland’ / ‘Industrienation’ weiter.


  1. Zantop, Susanne (1997): Colonial Fantasies. Conquest, Family, and Nation in Precolonial Germany, 1770-1870, Duke University Press: Durham.
  2. Kopp, Christian /Berlin Postkolonial (2010): ǀMission Moriaen“ – Otto Friedrich von der Gröben und Brandenburg-Preußens Handel mit Versklavten, 7. https://afrika-hamburg.de/PDF/kopp_groeben.pdf
  3. Zimmerer, Jürgen (2015): Bismarck und der Kolonialismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 65 -13, S. 33–38.
  4. Eckert, Andreas (2013): Die Berliner Afrika-Konferenz, in: Zimmerer, Jürgen: Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, Campus: Frankfurt/New York, S.137-149.
  5. Sebastian, Conrad (2008): Deutsche Kolonialgeschichte. C.H. Beck: München, S. 28 – 34.
  6. Osterhammel, Jürgen (2017): Kolonialismus. Geschichte – Formen – Folgen. C.H. Beck: München (8. Aufl.), S. 19ff.
  7. Sebastian, Conrad (wie Ang. 4), Deutsche Kolonialgeschichte, S. 53.
  8. Kößler, Reinhart/ Melber, Henning (2018): Völkermord – Anerkennung ohne Entschuldigung und Entschädigung? Verwicklungen in verwobener Geschichte, in: Marianne Bechhaus-Gerst/ Joachim Zeller (Hg.): Deutschland postkolonial? Die Gegenwart imperialer Vergangenheit. Metropol: Berlin, S. 223-242.
  9. Alexandre Kum’a Ndumbe III. (1993): Was wollte Hitler in Afrika? NS-Planungen für eine faschistische Neugestaltung Afrikas (= Kritische und selbstkritische Forschungsberichte zur Dritten Welt. 7). IKO: Frankfurt am Main
  10. Kleinschmidt, Christian/ Ziegler, Dieter (2018): Dekolonisierungsgewinner. Deutsche Außenpolitik und Außenwirtschaftsbeziehungen im Zeitalter des Kalten Krieges, DeGruyter Oldenbourg: Berlin.