Baumwollspinnerei Leipzig

Baumwollspinnerei Leipzig

Auf dem Werksgelände der Spinnereistraße 7 in Lindenau erinnert heute mit den dort ansässigen Ateliers, Galerien und Gastronomien nur noch wenig daran, dass hier einmal die größte Baumwollspinnerei in Kontinentaleuropa operierte. Nach ihrer Gründung 1884 wuchs im Westen von Leipzig eine regelrechte Fabrikstadt mit über 20 Produktionsgebäuden, Arbeiter*innenwohnungen, Kindergärten und einer Erholungssiedlung heran. 1907 hatte die Fabrik ihre größte Ausdehnung erreicht. Auf rund 100.000 m² wurde mit 240.000 Spindeln Baumwolle verarbeitet. Bis zu 4.000 Menschen arbeiteten hier bis 1989 im Drei-Schicht-Betrieb, bis die Produktion nach der deutschen Wiedervereinigung eingestellt wurde.

Die Leipziger Baumwollspinnerei (LBS) wurde in der Blütezeit des Kolonialismus 1884 vor dem historischen Hintergrund einer zunehmenden Industrialisierung in Europa und der weiteren Ausbreitung des globalen Kapitalismus gegründet. Die Integration und Ausbeutung der Kolonialgebiete waren dafür notwendige Voraussetzungen. Die LBS betrieb eigene Baumwoll- und Sisalplantagen in ‘Deutsch-Ostafrika’. Nachdem sich die lokale Bevölkerung gegen den von der deutschen Kolonialregierung mit dem Maji-Maji-Krieg angeordneten Zwangsanbau auf kommunalen Baumwollfeldern wehrte, wurden die Investitionen in europäische Großplantagen wie die der LBS erhöht. Zeitweise arbeiteten dort mehr als 2.000 afrikanische Zwangsarbeiter*innen für den Export von Baumwolle nach Leipzig. Obwohl die Lieferungen von Baumwolle aus den Kolonien nur 0,5 % der gesamten Importmenge ausmachten, gab es ernsthafte Bestrebungen, die Kolonien, insbesondere Deutsch-Ostafrika, zu ständigen Lieferanten von Baumwolle zu machen.

Baumwollspinnerei heute (© Christoph Müller – CC BY-SA 3.0, wikipedia)

Kolonialware Baumwolle

Baumwolle war eine zentrale Ware der europäischen Industrierevolution, denn sie stand durch die Textilproduktion des frühen 19. Jahrhunderts im Kern der Wirtschaftstransformationen. Das erste größere Zentrum einer auf Baumwolle basierten Textilproduktion in Europa befand sich um 1300 in Norditalien. Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts schafften britische Unternehmer durch die Kombination von technologischen Entwicklungen und einem durch die koloniale Ausbreitung geschaffenen Zugang zu Rohstoff und Arbeitskräften ein weltübergreifendes Imperium aus Baumwolle.1 

Die beiden arbeitsintensiven Prozesse der Produktion von Textilien wurden räumlich und zeitlich zerlegt. Versklavte und Zwangsarbeiter*innen im 18. und 19. Jahrhunderts etwa in den Vereinigten Staaten oder auf den Inseln der Karibik pflückten Baumwollkapseln auf Plantagen, säuberten sie und verpackten sie für den Transport zu Baumwollballen. Die zweite Phase der Produktion wurde zur selben Zeit durch eine wachsende Anzahl Lohnarbeiter*innen ermöglicht, die in die neuentstandenen Industriezentren strömten. Baumwollspinnereien produzierten das Garn, welches dann mithilfe von Webmaschinen zu Gewebe verarbeitet wurde.

Diese fundamental neue Wirtschaftlichkeit durch Massenproduktion war jedoch noch weiter mit dem Kolonialsystem verknüpft. Das letzte Glied in der Warenkette – die Erschaffung eines Weltmarktes für die fertigen Produkte, in diesem Fall Kleider – wurde nicht primär durch Angebot und Nachfrage bestimmt, sondern entscheidend durch koloniale Machtstrukturen. Die Schaffung eines Absatzmarktes – etwa in Britisch Indien – war vor allem durch imperiale Tarife und den Zugang zu Kapital bedingt und führte zum Untergang der regionalen Textilindustrien in den Kolonien.2

 

Die LBS in Deutsch-Ostafrika

So unternahm die Leipziger Spinnerei den Versuch, sich von den Baumwollimporten unabhängig zu machen und eigene Baumwollplantagen in Deutsch-Ostafrika (heute Tansania, Teile von Burundi und Ruanda) zu betreiben. Sie erhofften sich, einmal ihren gesamten Jahresbedarf an Baumwolle, 30.000 Ballen, aus den eigenen Plantagen bestreiten zu können. Dafür waren nach ihren Berechnungen ebenso viele Hektar Land nötig. Ein abenteuerliches Unternehmen, das im Ersten Weltkrieg ein Ende finden sollte, und nur ganz zu Anfang Erfolg zu versprechen schien.

Leipziger Baumwollspinnerei, “Afrikanisches Abenteuer

Gustav Hertle, der damalige Leiter der Baumwollspinnerei, nahm 1907 an einer “Erkundungsreise” nach Deutsch-Ostafrika teil, um eine mögliche Baumwollproduktion in der Kolonie zu fördern. So kaufte die LBS Land in Deutsch-Ostafrika und errichtete eine der größten Plantagen in der Kolonie. Doch nur wenige Jahre nach der Gründung der Leipziger Plantage beschwerte sich Hertle in einem Schreiben an das Kolonialamt über die unzureichende Unterstützung, insbesondere bei der Anwerbung von Arbeitskräften, und machte den Gouverneur dafür verantwortlich, dass die Plantage nicht mehr als symbolische Baumwollmengen produzierte. Vorausgegangen waren Bemühungen, die Menschen in bestimmten Gebieten der Kolonie zum Kauf von Baumwolle zu “mobilisieren”.

Die Mobilisierung geschah durch die Anlage von Gemeinschaftsfeldern in der Nähe von Kontrollzentren. Dadurch wurde kontrolliert, dass die Bauern keine Baumwolle für den Eigenbedarf anbauten, sondern praktisch ohne Entschädigung für den Kolonialstaat oder die deutschen Pflanzer arbeiteten. Gleichzeitig wurde die ländliche Nahrungsmittelproduktion durch eine Vielzahl kolonialer Schutzbestimmungen stark belastet, indem kollektive Jagd, der Zugang der Bauern zu den Wäldern und das Abbrennen von Buschwerk zur Erschließung neuer Felder verboten wurden.3 Die Zwangsarbeit der lokalen Bevölkerung führte 1905-1907 zum Maji-Maji-Krieg, der bis zu 300.000 Ostafrikaner*innen das Leben kostete.

Von unbekannt (Verleger: Eckert & Pflug Kunstanstalt Leipzig)

Wie im obigen Zitat aus dem Kapital “Afrikanisches Abenteuer” der Internetseite From Cotton to Culture der Leipziger Spinnerei schon anklingt, wird keine kritische Betrachtung der eigenen Geschichte vorgenommen. So heißt es im Text weiter, dass das Neuland und die nicht kultivierten Flächen vor Ort zunächst urbar gemacht werden mussten und dass ein Schädling die Ernte zerstört habe. Zu dem gewaltvollen Kontext des Baumwolleanbaus in Deutsch-Ostafrika wird dagegen kein Wort verloren.


  1. Beckert, Sven (2015): King Cotton. Eine Globalgeschichte des Kapitalismus, München: C.H.Beck.
  2. Kamenow, Nikolay (2016): Globale Geld- und Warenströme. In: Postkolonialismus und Globalgeschichte, Berlin: Bundeszentrale für politische Bildung.
  3. Sunseri, Thaddeus (2001): The Baumwollfrage: Cotton Colonialism in German East Africa, in: Central European History, 34(1), S.31-51.