Krystallpalast Varieté

Krystallpalast Varieté

Der Leipziger Krystallpalast, gegründet 1882 mit einer Kapazität von bis zu 15.000 Menschen, galt zu seiner Zeit als die größte Vergnügungsstätte Deutschlands. Der Komplex in der Wintergartenstraße und das darin inszenierte Vergnügen tragen auch koloniale Spuren. Hier wurden People of Colour (PoC) und Schwarze Menschen in exotisierender Weise ins Unterhaltungsprogramm eingebunden. Das Krystallpalast-Varieté blieb deutschlandweit berühmt, bis die Anlage im Dezember 1943 bei Bombenangriffen zerstört wurde. 1997 fand die Wiedereröffnung am neuen Standort in der Magazingasse 4 statt. Auf der Website heißt es dazu: „Diese wundersame Geschichte mit etlichen Turbulenzen, himmelhochjauchzenden Höhepunkten, schmerzlichen Rückschlägen und vor allem einem anhaltenden Happy End…“.1 Damit wird die Berufung der neu gegründeten Einrichtung auf die Traditionen des ursprünglichen Varietés deutlich.

Koloniale Spuren

Gelände im Krystallpalast Leipzig um 1900
Gelände im Krystallpalast Leipzig um 1900 (Quelle: Webseite Krystallpalast)

In einer Anzeige im Leipziger Tageblatt aus dem Jahr 1885 wirbt der alte Krystallpalast mit „Kriegstanz der […] Kameruner“ und mit der „Vorführung westafrikanischer Sitten und Gebräuche“ – ein Jahr nachdem Kamerun zur deutschen Kolonie geworden war.2 Irritierend ist hier neben der plakativen Exotisierung auch der Verweis auf Kameruner*innen aus „Little Popo“, dem heutigen Aného, das sich gar nicht in Kamerun, sondern in Togo befindet. Begleitet wurde die Tanzshow im Krystallpalast von der Kapelle des König-Sächsischen-Infanterieregiments, das den sogenannten ‘Kamerun-Marsch’ spielte.

Erstaunt berichtete die Leipziger Tageszeitung damals darüber, dass die Kameruner*innen nach einem der Auftritte zu einem spontanen „Bierkommers“ eingeladen wurden. Es seien Hüte getauscht und Reden gehalten worden. Ma-KA-Oli, die „Respectsperson“ der Gruppe und „in seiner Heimat am Kamerunfluss ein ganz respectabler Grundbesitzer“ habe die erste Ansprache mit einem Glas Cognac in der Hand und in „außerordentlich gewandter Rede“ gehalten. Nachdem der erste deutsche Redner sein Bier gelehrt hatte, wünschte ein zweiter noch, dass die Afrikaner*innen ebenso schnell Deutsch lernen sollten, wie sie vorher Englisch gelernt hatten. Danach wurde noch bierselig zusammen gesungen – „Heil dir im Siegerkranz“ und „Die Wacht am Rhein“. Der Autor des Artikels stellt verwundert fest: „…allein N., wie wir ihn mit dem Worte verbinden, sind sie kaum.“ – augenscheinlich entsprachen sie nicht seiner klischeehaften Vorstellung von Schwarzen Menschen. Diese Bewertung offenbart eine koloniale Denkwelt, die ein “Wir” abgrenzt und durch die Abwertung der kameruner Künstler*innen aufwertet. Die Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak bezeichnet dieses „weitläufige und heterogene Projekt, das koloniale Subjekt als Anderes zu konstituieren“ als das klarste Beispiel epistemischer Gewalt, also eben der Gewalt, die mit unserer Wissensproduktion in direkter Beziehung steht.3

Menschen aus den zu eigen gemachten Kolonien – oftmals kostümiert – in Shows auftreten zu lassen, war eine verbreitete Praxis im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts. Achille Mbembe erklärt, dass der „Schwarze, den man zu sehen bereit ist, [müsse] stets zunächst zum Objekt einer Verkleidung gemacht werden“ – „Damit er im Reich des Sichtbaren erscheinen kann, darf seine Gestalt paradoxerweise keinesfalls an die grundlegende Gewalt erinnern, die ihn zunächst seiner schlichten Menschlichkeit beraubt und ihn dann als »Schwarzen« rekonstruiert hat.“4 Obwohl eine solche Exotisierung bis heute vielerorts kritisiert wurde und wird, steht das beschriebene Programm des Krystallpalastes als Selbstverständlichkeit im Geschichtsverlauf des Varieté: Kolonisierte Menschen treten zur Belustigung kolonisierender Menschen auf.


Leipziger Tageblatt, 31.5.1885

Koloniale Kontinuitäten

Der Auftritt der kameruner Künstler*innen und deren Darstellung in der Presse ist kein einzigartiges oder gar abgeschlossenes Kapitel in der Geschichte der einstigen „Kabarett-Hauptstadt“ Leipzig. Noch im Jahr 2015 wirbt das Krystallpalast Varieté für seine Dinner-Show GANS GANZ ANDERS und entführt laut eigener Aussage „in die Western-Welt” die „Von Rothäuten und Bleichgesichtern“ bewohnt wird.5 Das Spiegelzeltrestaurant Zur Goldenen Gans verwandelt sich in den „Golden Girls“-Saloon, in dem den Zuschauern nicht nur Winnetou und Old Shatterhand begegnen. Es wird damit geworben, dass hier selbstironisch „allen Klischees und Figuren“, die „uns gemeinen Mitteleuropäern zum Thema Wilder Westen einfallen“, begegnet werden kann. Der Titel „Von Rothäuten und Bleichgesichtern“ zeugt von einem unreflektierten Umgang mit rassistischen Stereotypen. Das Aufgreifen von Klischees dient hier der Unterhaltung und weiße Menschen repräsentieren in Kostümierungen Native Americans. Auch solche kulturellen Aneignungen haben eine lange Geschichte. So erklärt Ina Kerner, Kolonialfantasien hätten ab dem 18. Jahrhundert „nicht nur die Alltagskultur der Metropolen“ durchdrungen, sondern auch den Kolonialismus selbst überdauert. Kerner verweist hier auch auf die ständige Reaktualisierung durch die Tourismusindustrie.6

Eine transparente Aufarbeitung der kolonialen Geschichte und der bis heute fortlebenden Rassismen steht aus. Zwar liegt die besagte Show mittlerweile einige Jahre zurück, distanziert hat sich die Institution davon aber noch nicht. Welche Exotismen sich die ab Dezember 2021 anlaufende Inszenierung des Dschungelbuchs bedient, bleibt abzuwarten.

Varietéshow zum 20 -jährigen Jubiläum des Krystallpalast Varieté Leipzig (Quelle:Webseite Krystallpalast)

  1. Krystallpalast: Historie.
  2. Leipziger Tageblatt, 31.5.1885.
  3. Spivak, Gayatri Chakravorty (2008): Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und Subalterne Artikulation, Wien/Berlin: Turia+Kant, S. 42.
  4. Mbembe, Achille (2014): Kritik der schwarzen Vernunft. Berlin: Suhrkamp, S. 133.
  5. Pressemitteilung, 21.10.2015
  6. Kerner, Ina (2012): Postkoloniale Theorien zur Einführung, Hamburg: Junius, S. 29.