Gedenkstein für Kamal Kilade

Gedenkstein für Kamal Kilade

Im Müllerpark, gegenüber des Leipziger Hauptbahnhofes, erinnert eine Gedenktafel an die rassistische Ermordung des jungen Mannes Kamal Kilade. Dieser wurde in der Nacht zum 24. Oktober 2010 von zwei Neonazis auf dem Nachhauseweg angegriffen und mit Messerstichen tödlich verletzt. Wegen erheblicher Widerstände von verschiedenen Akteur*innen der Stadt Leipzig konnte erst drei Jahre nach diesem brutalen Verbrechen ein Gedenkort nach den Vorstellungen der Hinterbliebenen errichtet werden. Auf der in einen Findling eingelassenen Metalltafel zitiert ein Text die Mutter Kamals. Der Gedenkort soll an den bei seiner Ermordung erst 19-jährigen Kamal Kilade, sowie an alle anderen Opfer rechter Gewalt, erinnern.

Gedenktafel für Kamal Kilade und Opfer rassistischer und neonazistischer Gewalt in Leipzig (Foto: luhze)

Mindestens 152 Menschen sind seit 1990 in Deutschland durch rechtsmotivierte Gewalt zu Tode gekommen, mindestens sechs davon in Leipzig. Neben Kamal sind die bisher bekannten Todesopfer Klaus R., Horst K., Bernd Grigol, Achmed Bachir, Nuno Lourenço, Thomas K. und Karl-Heinz Teichmann. In Reaktion auf die Ermordung Kamals wurde in der Stadtgesellschaft die Forderung nach einer breiteren öffentlichen Auseinandersetzung mit rechtsmotivierten Gewaltverbrechen und nach einer Erinnerungskultur, die die Opfer von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ehrt, laut.


Hintergründe der Tat

In der Nacht des 24. Oktober 2010 war Kamal gemeinsam mit Freunden durch das Leipziger Nachtleben gezogen und gerade auf dem Nachhauseweg, als die drei in den frühen Morgenstunden im Müllerpark Marcus E. und Daniel K. begegneten. „Kick off Antifascism – Anti-Faschismus abschießen“ lautete der Schriftzug des Kapuzenpullis, den der 29-jährige Daniel K. auf den Fotos, die unmittelbar nach seiner Festnahme gemacht wurden, über seinen Kopf und seinen, mit dem Schriftzug “Rassenhass” tätowierten, Unterarm zog.

Die Staatsanwaltschaft wollte dennoch kein rassistisches Motiv erkennen können und plädierte auf eine Verurteilung wegen Totschlags. Stattdessen ermittelte die Polizei zunächst in Kamal Kilades Umfeld. Dieser Vorgang reiht sich in eine ganze Reihe vonErmittlungen ein, wie beispielsweise bei den rassistischen Morden des NSU, bei denen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zunächst als Tatmotiv ausgeschlossen wird und stattdessden eine Kriminalisierung der Opfer erfolgte. 

K. und E. hatten sich in der sächsischen Haftanstalt Waldheim kennengelernt. K., der mehrere Jahre in Aachen gelebt hatte und dort unter anderem als gewalttätiger Neonazi der Kameradschaft Aachener Land (KAL) aufgefallen war, verbüßte bis zum Frühjahr 2010 in der JVA Waldheim eine Haftstrafe. Drei Jahre und drei Monate musste er für seine Beteiligung an der Geiselnahme und Körperverletung einer Frau aus dem Umfeld der KAL verbüßen. Der 32-jährige Marcus E. war erst zehn Tage vor dem Zusammentreffen mit Kamal K. nach knapp zehn Jahren Haft in Freiheit entlassen worden. Er hatte wegen Vergewaltigung in drei Fällen, gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen, Körperverletzung in zwei Fällen und wegen weiterer Gewaltdelikte eine Gesamtfreiheitsstrafe von achteinhalb Jahren verbüßt. Während seiner Haftzeit in der thüringischen Jugendstrafanstalt Ichtershausen wurde er von der neonazistischen Hilfsgemeinschaft für nationale Gefangene (HNG) in einer monatlichen Gefangenenliste sogenannter „nationaler Gefangener“ genannt, die um Briefkontakte zu Gleichgesinnten bitten. 1. Nach dem Tod von Kamal fanden die Sicherheitsbehörden in den Wohnungen beider Tatverdächtiger neonazistisches Propagandamaterial. Die Staatsanwaltschaft wollte zunächst kein rassistisches Motiv erkennen können und plädierte auf eine Verurteilung wegen Totschlags. Das Landgericht Leipzig aber erkannte die rassistische Motivation der Täter und verurteilte E. wegen Mordes aus niederen Beweggründen zu 13 Jahren Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung und K. wegen gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren Haft und Alkoholentzug.

Erinnerungspolitik in Leipzig

2011 gründete sich eine AG Erinnerungskultur, in der Vertreter*innen des Migrant*innenbeirates und der Beratungsstelle für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt sitzen. Sie fordern die Etablierung einer Erinnerungskultur für Betroffene von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Das erste Ziel der AG war die Errichtung eines Gedenkortes für Kamal Kilade, was wegen erheblichem Widerstand der Stadt Leipzig erst drei Jahre nach dem Mord gelang. Der Gedenkort befindet sich in dem Park gegenüber des Hauptbahnhofs und besteht aus einem Gedenkstein mit einer Glasplatte. Der Text darauf zitiert Kamals Mutter und erinnert an ihn sowie an alle anderen Opfer rechter und rassistischer Gewalt. 

In unseren Stadtrundgängen besuchen wir den Gedenkort Kamal Kilade und klären über die Verbindung von historisch geprägter kolonial-rassistischer und gegenwärtiger rassistischer Gewalt auf. Die gesamtgesellschaftliche und funktionale Akzeptanz, Förderung und Bestärkung rassistischer Ideologien und Handlungspraxen der Kolonialzeit und deren spätere Verfestigung im Nationalsozialismus bilden bis heute eine Grundlage von Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Erinnerungsarbeit hat an diesem Ort einen vermittelnden und mahnenden Aspekt und ist zugleich ein Referenzpunkt für Angehörige der Opfer rassistischer Gewalt sowie für solidarische zivilgesellschaftliche Initiativen, die gesellschaftliche Zustände sichtbar machen und auf politisches und gesamtgesellschaftliches Handeln zur Bekämpfung von Rassismus drängen.

Der Initiativkreis Antirassismus und die Initiative Rassismus tötet! erinnern regelmäßig mit Gedenkveranstaltungen, mobilen Infotafeln und Demonstrationen an die Opfer rechter Gewalt in und um Leipzig. 

In Gedenken an Kamal Kilade (Quelle: Facebook)

Die Gedenktafel im Müllerpark wurde bereits mehrfach von Unbekannten gestohlen oder geschändet.2.

Rechts motivierte Gewaltverbrechen

Todesopfer rechtsextremer Gewalt gibt es seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland, aber erst ab den 1980er Jahren wurde rechte Gewalt in Deutschland öffentlich diskutiert. Seit der Wiedervereinigung 1990 nahmen rechtsextreme Angriffe gegen ehemalige “Vertragsarbeiter*innen”, “Gastarbeiter*innen”, Einwanderer*innen und Asylbewerber*innen erheblich zu. Erst nach einigen Mordanschlägen wurde begonnen, die Zahl dieser Angriffe und ihrer Opfer zu registrieren, um diese Taten stärker als gesamtgesellschaftliches Problem, nicht mehr nur als Randphänomen erkannt, zu erfassen und zu erforschen. Die Erfassungskriterien und Gesamtzahl dieser Todesopfer seit 1990 sind umstritten. Das Bundeskriminalamt registrierte „Hasskriminalität“, darunter rassistische Straftaten gegen Ausländer*innen, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle und Obdachlose früher noch nicht als Staatsschutzdelikte. Das 2001 eingeführte Definitionssystem politisch motivierte Kriminalität ist nach wie vor enger gefasst als in anderen Staaten und wird von Initiativen gegen Rechtsextremismus in Deutschland weiter kritisiert. Im Januar 2021  erklärte die Amadeu Antonio Stiftung (AAS), dass von der Bundesregierung lediglich 106 Tötungsdelikte als rechts motiviert gewertet werden, während ihre eigenen Recherchen eine weitaus höhere Zahl ergeben. So sind mindestens 213 Todesopfer rechter Gewalt seit dem Wendejahr 1990 sowie 13 weitere Verdachtsfälle registriert worden.

Neben Rassismus in den Sicherheitsbehörden beklagen bestimmte Gruppen auch immer wieder die Verharmlosung, Verleugnung und das unter den Teppich kehren von rechter Gewalt in Deutschland, vor allem in Sachsen. Während im Jahr 2020 im Zuge des Bekanntwerdens immer neuer “Einzelfälle” bei den Sicherheitsbehörden eine Studie zu Rassismus in der Polizei medial wirksam eingefordert wurde, weigern sich der Innenminister des Bundes und weitere Vertreter*innen auf Landesebene, die Verbreitung von Einstellungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit untersuchen zu lassen. Stattdessen wird nun eine Studie zum Arbeitsalltag der Polizist*innen erstellt. Es bleibt zu befürchten, dass damit rassistische Einstellungen innerhalb dieser demokratisch nicht kontrollierten Institutionen Polizei (und Militär) kaum als strukturelles Problem systematisch erfasst und stattdessden weiterhin als Einzelfälle verharmlost werden.

Die Arbeitsgemeinschaft chronik.le dokumentiert rassistische, faschistische und diskriminierende Ereignisse in und um Leipzig.


  1. Kleffner Heike, “Seit seinem Tod ist alles anders”, in: Störungsmelder – ZEIT Online (16.06.2011)
  2. Puppe, Matthias, Gedenktafel für ermordeten Kamal K. in Leipzig wurde rekonstruiert, in: LVZ (25.04.2018).